Einfache Sprache und Leichte Sprache im Vergleich

Bei­de Sprachen sind ver­ständlich und ermöglichen ver­schiede­nen Ziel­grup­pen Teil­habe

Mit der Don-Bosco-Beruf­ss­chule in Würzburg verbindet das Insti­tut für Tex­top­ti­mierung eine langjährige enge Zusam­me­nar­beit, die bei­den Seit­en sehr viel Freude bere­it­et. Immer wieder wird unsere Dozentin für Tex­top­ti­mierung und Trainer­in für Ein­fache Sprache Susanne Scharff als Exper­tin ein­ge­laden, um in Work­shops ein Bewusst­sein für die Notwendigkeit der Ein­fachen Sprache zu schaf­fen und die Möglichkeit­en vorzustellen, wie das Ziel von Tex­top­ti­mierung erre­icht wer­den kann: Texte ohne sprach­liche Bar­ri­eren zu erstellen, die aber den­noch das fach­liche Niveau bein­hal­ten.

Im ver­gan­genen Jahr hat Susanne Scharff im Rah­men der Zusam­me­nar­beit zwis­chen der Don-Bosco-Beruf­ss­chule und dem Insti­tut für Tex­top­ti­mierung fol­gende Abhand­lung geschrieben für das Buch „Inklu­sive Schu­len­twick­lung an berufs­bilden­den Schulen – Ergeb­nisse aus dem Net­zw­erk Beru­fliche Schulen Main­franken“, das hier bestellt wer­den kann:

Erfahrun­gen mit hörgeschädigten Men­schen haben wohl die meis­ten von uns in ihrem Leben schon ein­mal gemacht. Warum auch immer wir meinen, wir wer­den bess­er ver­standen: Viele begin­nen beim Erken­nen der Hörschädi­gung, ihr Gegenüber zunächst deut­lich lauter und mit „Babytalk“ anzus­prechen. Hörgeschädigte haben aber kein kog­ni­tives Prob­lem, son­dern ein physis­ches. Und dieses ist ver­ant­wortlich für die andere Art, in der sie groß wer­den und Sprache erwer­ben. Sie hören weniger Sprache und ler­nen dadurch weniger Vok­a­beln, auch die Dop­pel- und Mehrdeutigkeit von Wörtern ist oft nicht umfassend bekan­nt. Sprach­liche Bilder funk­tion­ieren nicht wie gewohnt.

Im Schrift­bere­ich fol­gt mitunter gle­ich der näch­ste Irrtum auf dem Fuße: „Aber lesen kön­nen sie doch!“ – Ja, schon, aber was hil­ft es, Wörter lesen zu kön­nen, deren Bedeu­tung man nicht ken­nt? Ganz davon abge­se­hen, dass Laut­sprach-Kom­pe­tenz die Voraus­set­zung für das Erwer­ben der Schrift­sprach-Kom­pe­tenz ist.

Vor mehr als 5 Jahrzehn­ten begann man an der PH Hei­del­berg zu unter­suchen und zu erforschen, warum viele hörgeschädigte Azu­bis im prak­tis­chen Bere­ich der Prü­fung oft­mals gut abschnei­den, im Schrift­bere­ich aber immer wieder ver­sagen. Die Ergeb­nisse waren erhel­lend: Die Prü­fungssprache mit ihrer kom­plizierten, stark verdichteten Gram­matik und beson­deren Wort­wahl ist ver­ant­wortlich – ganz zu schweigen von der Aufre­gung, die wohl jed­er Men­sch in ein­er Prü­fung ver­spürt. Die Prü­fungssprache unter­schei­det sich deut­lich von der All­t­agssprache und der Unter­richtssprache; sie ist beson­ders schw­er ver­ständlich.

Tex­top­ti­mierung ist eine gut geeignete Meth­ode, Prü­fungssprache ver­ständlich zu machen. Tex­top­ti­mierte Prü­fun­gen sind Prü­fun­gen in Ein­fach­er Sprache; sie sind leicht zu ver­ste­hen und nicht missver­ständlich. Tex­top­ti­mierung ver­hil­ft Men­schen mit eingeschränk­ter Sprachkom­pe­tenz zu Chan­cen­gle­ich­heit – nicht nur in Prü­fun­gen, son­dern auch beim Ler­nen und im All­t­ag.

Deshalb (und weil es in Deutsch­land Geset­ze zur Gle­ich­stel­lung gibt) inter­essieren sich immer mehr Aus­bil­dungsstät­ten, Beruf­ss­chulen, Kam­mern und Min­is­te­rien für Ein­fache Sprache. Ein­fache Sprache ist eben­falls her­vor­ra­gend geeignet für Azu­bis mit psy­chis­chen Beein­träch­ti­gun­gen. Und sowieso für alle, die nach Deutsch­land ein­wan­dern oder flücht­en. Bei Let­zteren kann es gut sein, in der Aus­bil­dung zunächst mit sehr Ein­fach­er Sprache zu begin­nen.

Leichte Sprache ist eben­falls eine ver­ständliche Sprache, ist aber für eine beson­dere Ziel­gruppe gedacht: für kog­ni­tiv eingeschränk­te Men­schen.

Banken, Behör­den, Nachricht­ensender und Politiker*innen bieten ihre Texte zunehmend in Leichter Sprache an.

Bei Leichter Sprache gibt es nur eine Aus­sage pro Satz zu „ver­dauen“. Kaum ein Satz ist länger als 8 Wörter. Leichte Sprache ist nicht geeignet für die Tex­top­ti­mierung von Prü­fun­gen.

Eine Prü­fung muss fach­lichen Stan­dards genü­gen. Für Prü­fun­gen wird die Ein­fache Sprache genutzt. Ein­fache Sprache vere­in­facht nur den Inhalt eines Textes, z. B. ein­er Prü­fungsauf­gabe. Der Fach­in­halt bleibt kom­plett erhal­ten. Es gibt viele Par­al­le­len zur Leicht­en Sprache, aber dieser Haup­tun­ter­schied ist bindend. Ein­fache Sprache vere­in­facht die Sprache auch nicht so sehr, wie Leichte Sprache es tut.

Ein Satz in Ein­fach­er Sprache kann bis zu 3 wichtige Infor­ma­tio­nen enthal­ten. Auch hier sind sowohl die Wörter ein­fach und ein­deutig als auch die Sätze möglichst kurz, heißt max­i­mal 15 Wörter lang.

Der Stan­dard­satzbau: Sub­jekt – Prädikat – Objekt ist auch bei Ein­fach­er Sprache Pflicht. Es gibt keine Sprach­bar­ri­eren wie Gen­i­tiv, Pas­siv usw. Fremd­wörter und Fach­wörter, die aus dem Unter­richt bekan­nt sind, bleiben im Text ste­hen. Unbekan­nte Fremd­wörter wer­den erk­lärt oder durch ein­fache Wörter erset­zt.

Ein über­sichtlich­es, struk­turi­ertes Lay­out mit klaren Schriften (ohne Schnörkel und Ser­ifen) sowie genü­gend Zeilen­ab­stand und aus­re­ichend weiße Flächen im Text gehören eben­so zu bei­den Sprachen wie die Unter­stützung durch Bilder oder, im Falle von Ein­fach­er Sprache, durch Tabellen.

Jedes ver­standene Wort, jed­er ver­standene Text und fol­glich jede gelöste Auf­gabe bedeuten pures Glück für die genan­nten Ziel­grup­pen. Und so machen die erre­icht­en Lösun­gen den Azu­bis – mit den oben­drein erwor­be­nen neuen Ver­schal­tun­gen im Gehirn – Lust auf die näch­ste, vielle­icht sog­ar schon etwas schwierigere Auf­gabe.

Men­schen mit Hörschädi­gun­gen, psy­chis­chen Beein­träch­ti­gun­gen, Zuge­wan­derte und Geflüchtete wer­den diese Möglichkeit­en dankbar nutzen, denn sie ermöglichen ihnen Ver­ste­hen und erlauben ihnen Teil­habe. So kön­nen auch sie zeigen, was in ihnen steckt, kön­nen ihre Poten­ziale ent­fal­ten und dem Gemein­wohl zur Ver­fü­gung stellen.

Autis­tis­che Men­schen z. B. wer­den auf­grund ihrer ganz beson­deren Fähigkeit­en und Fer­tigkeit­en in der IT-Branche sehr gern eingestellt. Dazu brauchen sie einen guten Beruf­s­ab­schluss. Wenn dieser inhaltlich und fach­lich keine Hürde darstellt und „nur“ an Sprach­bar­ri­eren zu scheit­ern dro­ht – was liegt näher, als diese zu erken­nen, zu beseit­i­gen und auf diese Art eine Aus­bil­dung mit viel Ein­fach­er Sprache und besten­falls mit tex­top­ti­mierten Prü­fun­gen zu absolvieren?

Ler­nen find­et auch noch nach ein­er Prü­fung statt …

Nachteile auszu­gle­ichen, z. B. mit Ein­fach­er oder Leichter Sprache, ist keine Frage der Hal­tung dafür oder dage­gen: Deutsch­land hat sich per Gesetz dazu verpflichtet, allen Men­schen gle­iche bzw. gerechte Chan­cen zu geben. Auch und ger­ade weil wir Men­schen nicht alle gle­ich oder gle­ich ver­an­lagt und „gebaut“ sind. Hand aufs Herz – genau das ist doch das Bere­ich­ernde!

Alle sollen ihre Fähigkeit­en nutzen und in die Gesellschaft ein­brin­gen. Dann braucht es neben den Rol­li-Ram­p­en auch „Sprach-Ram­p­en“ für alle, die sie, mitunter auch nur vorüberge­hend, aber eben drin­gend benöti­gen.
Ein dop­pel- oder ein mehrdeutiges Wort erlangt erst im Zusam­men­hang mit anderen Wörtern seine aktuelle Bedeu­tung im Satz. Ähn­lich ist es in der Gesellschaft: Sie wird bunter, reich­er und authen­tis­ch­er, je mehr Men­schen sich entsprechend ihrer Möglichkeit­en ent­fal­ten kön­nen und der Einzelne selb­st­bes­timmt seine gewün­schte Posi­tion find­en und ein­nehmen kann in der Gemein­schaft.

Leichte Sprache? Erle­ichtert Men­schen mit kog­ni­tiv­en Ein­schränkun­gen den Weg dahin!

Ein­fache Sprache? Genial ein­fache Möglichkeit für Azu­bis, ihre Ziele zu erre­ichen!

Veröffentlicht in Allgemein.

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